das sitzt

das sitzt 2937

wisst ihr, worauf man hier sitzt?

antworten bitte in den kommentaren.

die auflösung folgt am abend im lauf des wochenendes (sorry, print-redaktionsschlüsse gehen vor):

das sitzt noch länger

faschingdienstag, kurz nach 18 uhr, wir sind wie immer ein bisserl spät dran. den ort – die galerie am loquaiplatz im 6. wiener gemeindebezirk – kennen wir von vorigen ao&-essen, wir finden uns rasch zurecht. die ao&-männer reden mich alle nacheinander auf dieses foto an. wir erinnern uns kurz an den gemeinsamen tag, aber eigentlich sollte es gleich losgehen, die runde um den tisch herum ist komplett, bloß wir sitzen noch nicht. die meisten scheinen zum ersten mal hier zu sein, es ist still, ernsthaft, genau so, wie es zum plan gehört. ein paar leute rutschen zusammen, damit der web- und sängermeister und ich nebeneinander platz finden, gegenüber von den vier freundinnen und freunden, die mit uns gekommen sind und mit welchen erwartungen auch immer (ein paar mögen von mir und meinen kulinarischen notizen geschürt worden sein) warten, was kommt. ich versuche, über die viel zu breite bank auf meinen sitz einzusteigen. das leicht raue, eiskalte metall, auf das ich mich mit der linken hand stütze, um irgendwie den spagat drüber zu schaffen, fühlt sich scheußlich an. hart, scharf, ein wenig dreckig oder jedenfalls benützt – und dann fehlt auch noch eines der dünnen polsterln, auf dem alle anderen sitzen. ich stehe – wie man halt ungemütlich bei einem tisch steht, wenn einem die sitzgelegenheit in den kniekehlen raum zum gerade stehen raubt – und spreche kurz mit dem künstler john gerrard, dem die galerie gehört, über die offensichtlich neuen tische (den vorigen sieht man auf meinen früheren fotos). einer davon sei 250 kilo schwer und aus basalt, sagt john. währenddessen versucht mir der web- und sängermeister so ein polsterl zu organisieren. ich weigere mich, auf dem kalten metall platz zu nehmen, aus sorge um meine gesundheit und mein wohlbefinden. ein polsterl wird gefunden, mein hintern lässt sich kontrolliert darauf nieder, wie wenn man auf etwas platz nimmt, von dem man nicht weiß, ob es das eigene gewicht tragen wird oder kippen oder brechen. meine tasche stelle ich hinter mich, breit genug ist die bank ja, auch andere haben – davon vergewissere ich mich mit schnellen blicken nach rechts und links hinter den rücken – ihre sachen darauf abgestellt. eigentlich hätte ich gerne auch ein polsterl für meine tasche, die ist doch neu, aus schönem leder, in deutschland gemacht, und ganz billig war sie auch nicht. sie soll mich noch viele jahre begleiten, beruflich, privat, immer – ich verwende nur eine tasche. jetzt steht sie hinter mir auf diesem scharfen, schmutzig wirkenden, kalten rost. sie wird es überleben. philipp furtenbach, wie immer derjenige, der die verbindung zu den gästen herstellt, begrüßt die runde. der erste satz hat die überbuchung des abends (wegen häufiger no-shows) zum inhalt, weswegen wir recht eng gezwickt sitzen. der zweite gilt – wie immer – dem hinweis auf die verwendung von ausschließlich zutaten aus persönlich bekannter herkunft, ergänzt um „die letzten fünf jahre waren wir für unsere arbeit in keinem supermarkt mehr einkaufen“. plakative zusammenfassung, ich muss das in ruhe nach-denken. dann der dritte satz mit dem verweis auf den ort – john gerrards galerie und seine arbeit – der mit der erklärung endet: „sie sitzen hier auf bänken, die john gerrard aus spaltenböden gemacht hat. darauf wurden früher schweine gezüchtet.“ in der sekunde verlagere ich noch mehr gewicht auf meine oberschenkel, es reißt mich, einen fluchtreflex, den ich noch nie gespürt habe, muss ich unterdrücken und ich schaue irritiert in die runde. niemand reagiert. ich spreche kurz mit meinen sitznachbar/inne/n über diesen konnex, massentierhaltung, irritation, provokation, kunst, kommunikation und was da gerade läuft, aber der fokus der gäste liegt auf dem, was zu essen kommt. oder sie wissen nicht, was spaltenböden sind. oder sie wollen es nicht wissen. oder sie finden nichts dabei. oder sie registrieren nicht einmal, dass sie auf keiner normalen bank sitzen. oder es geht ihnen wie mir und in ihrer verwirrung wissen sie auch nicht zu benennen, was sie gerade spüren, wollen das gelage nicht stören, den event-charakter, das geheime, coole, angesagte. mehrmals im verlauf des abends spreche ich die bänke an. auch gegenüber ao&. über „also was ihr da mit den bänken angefangen habt, mein lieber scholli…“ komme ich nicht hinaus. tue ich nur betroffen? was macht diese information mit mir? ich fühle mich überrumpelt, ertappt, feige, machtlos, traurig, verärgert, bockig, ferngesteuert, beobachtet, alleine. und seit faschingdienstag hört mein hirn nicht auf, fragen zu stellen. ein paar davon habe ich per mail an john gestellt, vielleicht werde ich darauf auch noch antworten bekommen (ein paar stehen hier unter „march 2010“). ich bin vor ort nicht auf die idee gekommen, mit ihm darüber zu sprechen. ich war doch viel zu beschäftigt mit meinen eigenen gefühlen. wie absurd und egozentrisch meine ahnungslosen gefühle beim hinsetzen waren. ungemütlich, meiner gesundheit abgträglich, hart, saukalt, scharfkantig, dreckig und selbst meine tasche fühlt sich da nicht wohl drauf. warum tun wir schweinen das an? warum? warum? warum? warum sprechen wir nicht darüber? warum wissen wir nichts darüber? warum wusste nicht einmal ich, dass das spaltenböden sind (weil sie zweckentfremdet waren? wobei: so zweckentfremdet waren sie ja nicht. wobei: sie waren überhaupt nicht zweckentfremdet. wobei: es könnte keinen besseren ort für spaltenböden geben – wäre es doch bloß eine erinnerung an eine barbarische zeit, die zum glück hinter uns liegt)? warum fragen wir nicht nach? warum sind wir so bequem? warum bin ich so bequem? ich weiß nicht, ob ao& und john wissen, was sie da in gang setzen (könn(t)en). ich weiß nur, dass es funktioniert.

ps: das ist die fünfte kulinarische notiz über ao& innerhalb von den fünf jahren, die es esskultur bald gibt. die rubrik ao& hätte ich schon längst einführen können. ich hätte ahnen müssen, dass es nicht bei der einen bleiben würde.

ao&
john gerrard

31 Gedanken zu „das sitzt“

  1. Könnte auch ein überdimensionaler Grillrost sein, aber ich bleibe bei Geflügelmassenhaltung. Die Eintiefungen könnten zum Sammeln bzw. Abrollen der Eier dienen.

  2. Was gibt’s eigentlich zu gewinnen? (Damit wir nachher die berühmte Frage stellen können: „Wos woar mei Leischtung?“)

  3. direkt draufsitzen werden die dortigen menschen auf de bobbadöggeln, oda?
    des gstö söwa könnt von einem hochregallager sein.
    (und erinnert mich an die arme nontschi, die sich immer vor so gittern gefürchtet hat)

  4. danke für eure überlegungen. die antwort ist bereits darunter, aber ich brauch‘ noch ein bisserl zeit, um die aufklärung in die richtigen worte zu verpacken.

  5. Imho sind das Bodenroste, die in Abferkelbuchten eingesetzt werden – wir haben hier aber lange gegrübelt, obs nicht doch was anderes ist, weil solche Sitze müssten einem doch den Appetit verderben. Oder ist das schwarze Pädagogik im Vegetarierlokal?

  6. Wenn ich jetzt Katha gegenübersäße, würde ich – wahrscheinlich – in Polemik verfallen. Tue ich aber nicht, weil sie – auch mithilfe der großartigen Beschreibung/Wiedergabe ihrer Eindrücke/Gefühle – in der Sache recht hat. Punkt.

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