wallraff hat gebacken

der deutsche journalist und buchautor günter wallraff hat wieder undercover recherchiert, diesmal einen monat lang in einer deutschen brötchenfabrik, die ausschliesslich für lidl produziert. dass er sich dabei brandwunden, herzprobleme und fast eine lungenentzündung geholt hat, nimmt er in kauf. seine im besten sinne zeitlose reportage mit dem titel „unser täglich brötchen“ ist im aktuellen zeitmagazin und in der zeit online nachzulesen.

wer – so wie ich – „ganz unten“ vor zwanzig jahren staunend und ungläubig in einer nacht ausgelesen hat, wird froh sein, dass wallraff wieder da ist – seine art des investigativen journalismus ist rar. er wird die nächsten ein bis zwei jahre für das zeitmagazin verdeckt recherchieren und alle paar wochen darüber schreiben.

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die widerlichen bedingungen, unter denen in der backfabrik in rheinland-pfalz (deren liefergebiet wie auf der firmeneigenen website ersichtlich nicht nur auf deutschland beschränkt ist, sondern auch österreich und viele andere europäische länder umfasst) gearbeitet werden muss, entstehen durch den preisdruck, den lidl auf seine lieferanten ausübt – und dem der fabrikant auch gar nichts entgegnen will. er gibt den druck direkt an die mitarbeiterinnen und mitarbeiter weiter, damit die brötchen bei lidl weiterhin für 10,5 cent pro stück im zehnerpack verkauft werden können. wird zu spät oder gar nicht geliefert, muss der fabrikant pro palette (336 packungen) 150 euro strafe an lidl zahlen, so wallraff.

ob die brötchen überhaupt schmecken, beantwortet wallraff indirekt: dem angebot der fabriksleitung an die mitarbeiterinnen und mitarbeiter, nach schichtende eine packung brötchen für zuhause mitzunehmen, kommen nur wenige nach.

wallraff geht es laut diesem video-interview für die zeit online um „billiglohnsituation, entrechtung, neue form der ausbeutung“.

mich interessieren andere aspekte:

warum kauft jemand eine zehnerpackung brötchen zum aufbacken für 1,05 euro? luft, kohlenhydrate aus billigstem mehl und ein bisschen chemie? sicher nicht deshalb, weil es schmeckt.

kann es sein, dass man den unterschied zwischen industriebackwaren und handwerklich einwandfrei hergestelltem brot nicht erkennt?

das preisargument gilt nicht. niemand muss in deutschland (oder österreich oder der schweiz) z. b. mit zucker und aromen versetztes wasser trinken, um seinen flüssigkeitsbedarf zu decken. das wasser kommt hier überall gratis aus der leitung. und für den gegenwert geht sich locker gutes brot aus. das gibt es aber weder bei lidl noch bei aldi, hofer, norma, penny oder einem anderen diskonter.

lidl hat zur wallraff-reportage bereits stellung genommen.

die weinzheimer brotfabrik mittlerweile auch.

4 Gedanken zu „wallraff hat gebacken“

  1. wat denn nu – lidl oder wallraff wer hat recht? den „anderen aspekten“ stimme ich voll und ganz zu mit einer ausnahme – wenn gratis mit kostenlos gleich zu setzen ist stimmt`s nicht. leitungswasser kostet auch aber viel weniger als geklontes wasser mit schicker anmutung

  2. Die Reaktionen der Brotfabrik und von Lidl sind besonders menschenverachtend. Die Arbeitsbedingungen, um denen es Wallraff geht, spielen hier überhaupt keine Rolle. Der Umgang zwischen den Menschen im Unternehmen ist entscheidend, nicht die kalten, nackten Zahlen.

    Hut ab vor Wallraff, seine Berichte schärfen den Blick auf unsere aus dem Ruder laufende Sozialgesellschaft.

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