das ende der speisekarte, nachwort

richtig, das menü im vorigen beitrag gab’s im freyenstein, meinrad neunkirchner hat es gekocht (gemeinsam mit seiner köchin jasmin).

es war ein perfektes abendessen, ohne wenn, ohne aber.

ein paar anmerkungen zum konzept „keine speisekarte, dafür ein menü für alle“ und zum menü selbst:

bis vor wenigen wochen gab’s noch eine speisekarte im freyenstein. meinrad neunkirchner, einer der besten köche des landes (und das schon seit jahrzehnten) wollte aber immer weg davon. das hat mehrere gründe: zum einen bekommt er extrem rare produkte in oft nur winzigen mengen, mit einem täglich wechselnden menü bleibt er flexibel. er gehört zu den kreativen, die sich auch gar nicht gerne einschränken lassen von irgendwelchen zwängen. ausserdem versteht er sein menü in fünf gängen (jeweils mehrere miniportionen verschiedener gerichte pro gang, tom hat recht) als kampfansage an teure und deshalb nicht unbedingt bessere menüs in spitzenrestaurants, weil er so viel besser kalkulieren kann (er weiss ja, wieviele tische reserviert sind – meistens alle – und folglich für wieviele personen er an jenem abend das menü planen muss) und weit ökonomischer arbeitet als jedes „normale“ lokal mit speisekarte. deine vermutung stimmt also nicht, eline. das menü kostet bloss 30 euro, was kaum zu glauben, aber dank der guten planung und dem konzept „ein menü für alle“ eben doch realisierbar ist.

meinrad neunkirchner ist witzigmann-schüler und hat in mehreren dreisternern, vor allem in frankreich, gearbeitet, das wissen auch seine gäste. folglich wollen sowieso alle das von ihm vorgeschlagene menü essen. natürlich kann man auch sagen, was man nicht möchte oder nicht verträgt (finde ich auch wichtig, nathalie, auch wenn ich zum glück keine allergien oder unverträglichkeiten habe). sehr interessant finde ich eure reaktionen (danke dafür, wie immer), wenn ihr lokal und koch nicht kennt (bis auf ein paar ausnahmen). ich habe mich gefragt, ob ich das auch so sehen würde und muss gestehen: kann sein! wenn ich so ein umfangreiches menü lesen würde und danach beurteilen müsste, ob ich es bestellen würde, käme ich vielleicht auch ins straucheln, aber ich würde mich von kriterien leiten lassen, die mir immer wichtig sind. ein paar davon hat eline schon genannt: saisonalität bzw. regionalität, beides spielt offensichtlich eine grosse rolle. die „wiederholungen“ finde ich im gegensatz zu eline höchst spannend (und ökonomisch, by the way). ich mag es sehr, wenn zutaten in ganz anderer spielart wieder vorkommen: wenn krebse serviert werden, dann passt natürlich auch die korrespondierende suppe. wenn taubenbrüste mit schenkerl auf den teller kommen, dann ist doch das lebermousse als vorspeise ideal. und zu den waldbeeren: einmal waren’s heidelbeeren, auf der limettencreme him- und brombeeren – alle haben saison. die jakobsmuschel finde ich auch nicht so toll (obwohl sie super zum pilz gepasst hat). aber für mich spielen zwei weitere aspekte eine rolle bei der einschätzung dieses menüs: der einsatz seltener bis unbekannter kräuter (von karoominze hatte ich zuvor noch nie gehört, weinraute und ysop kommen selten vor) und das auffallende fehlen von speisekartenpoesie (die mir furchtbar auf die nerven geht). an den kombinationen ist erkennbar, dass sich da einer was überlegt hat, was nicht in übliche kategorien einzuordnen ist: meinrad neunkirchners stil wird zwar gerne als moderne wiener küche beschrieben, aber wozu eine schublade, wenn’s einfach seine unverkennbare handschrift ist? am fehlen von aufgezählten techniken u. ä. messe ich die souveränität bzw. das selbstverständnis eines koches: es geht hier eindeutig um produkte, um kombinationen daraus, der koch hat sich bestimmt die passende zubereitungsart überlegt – und ausserdem bleibt so immer eine überraschung, was und wie es letztendlich auf den teller kommt.

was die vielfalt betrifft: das mag überfordernd wirken und nach „way too much“, aber da alle gerichte rund und harmonisch sind (was man von einem spitzenkoch ja auch erwarten darf) und niemals vorlaut (meinrad neunkirchner ist eher ein verfechter der sublimen würzung, das mag angesichts intensiver kräuter unlogisch klingen und wahrscheinlich muss man einfach bei ihm gegessen haben, um diese behauptung nachvollziehen zu können), ist so ein menü in 13 bis 15 (krause glucke und flusskrebse waren eine draufgabe an jenem abend) kleinen speisen, gruppiert in fünf klassischen gängen (vorspeisen, suppen, fisch, fleisch, dessert) einfach eine schöne zusammenstellung. es ist definitiv nicht zu viel oder gar durcheinander, da darf ich ellja, uli und thea beruhigen.

für mich (aber ich gehöre zu den sehr experimentierfreudigen esserinnen) war’s eines der besten essen der letzten monate. ich mag diese abwechslung sehr und die möglichkeit, nach lust und laune ein bissen davon und dann wieder vom anderen zu essen und an einem abend ein ganzes spektrum an gerichten kennenlernen zu können. anderswo müsste man zwei, drei mal hingehen, um die küchenlinie und qualität einschätzen zu können. hier gibt’s kein sicherheitsnetz, weil alle trümpfe jeden abend ausgespielt werden, was ich für extrem mutig halte.

die sautierte taube mit der frittierten karoominze auf cremigem brioche (eine art semmelkren, aber eben auf basis von brioche) mit pinienkernen gehört zum stimmigsten und auf eine verblüffende art selbstverständlichen, was ich je gegessen habe. die flusskrebse waren super, aber im vergleich dazu der simpel klingende waller mit roten rüben so eine wucht, weil die roten rüben – ein ganz schlanke, ovale sorte, die nicht sehr tief in der erde liegt und von der auch das freyenstein bloss zwei, drei bund in einer woche bekommt – von so intensivem, puren wohlgeschmack waren, bloss mit ein bisserl schalottenbutter zum schluss und zu dem knusprig-saftigen fisch abgerundet: wenn es bloss so einfach wäre, wie es wirkt! der sommersalat mit holler, der sich als angesetzter essig – typisch meinrad neunkirchner – entpuppt, wirkt wie ein sonnenspeicher, und dabei ist das bloss eine marinade auf ein paar salatblättern. die nougatzwetschke, die dank cassis und verbene eleganz und frische bekommt,…

ich hör‘ ja schon auf. bloss eins noch: die abschaffung der speisekarte ist vermutlich nur dort möglich, wo ein grosser könner/eine grosse könnerin hinter dem herd steht. und noch was: für mich ist das konzept des freyenstein ideal: völlig unkompliziertes ambiente, kein chichi, keine steifen kellner, gute, fair kalkulierte weine, freundlicher service und eine küche, die längst (wieder) in der oberliga spielt, wenn auch getarnt als gasthaus. zu ebensolchen preisen. das einzige, was dagegen spricht, dass es bald einen boom solcher lokale geben wird: es fehlen die meister und meisterinnen hinter den herden, die das potential dazu hätten, auf so souveräne und lässige art zu kochen, dass es einem die patschn auszieht, ohne dass man sich dafür genieren müsste.

auf esskultur.at ging’s vor einem dreiviertel jahr schon mal ums freyenstein:
geheimwaffe hollergurkenessig

11 Gedanken zu „das ende der speisekarte, nachwort“

  1. Ich freue mich auf meinen nächsten Wien-Besuch, du hast mich sehr neugierig gemacht mit deiner Beschreibung. Da sieht man wieder, wie schwer es ist, ein Menü rein nach dem knappen Text zu beurteilen, wenn man die Rahmenbedingungen nicht kennt. Das Konzept der vielen kleinen Speisen neben- und hintereinander, das sich dem klassischen Menüfolgezwang verweigert, ist international ja schon sehr erfolgreich. Einer der ersten, die es konsequent umgesetzt haben , ist Pierre Gagnaire mit seinem mittäglichen „Marktmenü“, bei dem man sich wie im Schlaraffenland vorkommt anhand der vielen kleinen Köstlichkeiten am Tisch.
    Ich wünsche dem Freyenstein weiter so viel Erfolg. Ich bin nach deiner Schilderung noch mehr überzeugt, dass dieser extrem hohe Arbeitsaufwand und diese Produktqualität langfristig einen höheren Menüpreis erfordert und auch verdient. Die Selbstausbeutung eines leidenschaftlichen Kochs sollte auch ihre Grenzen haben.

  2. Um den Preis gehts mir nicht, aber ich hab gar nix dagegen, wenn es noch immer so billig ist, wenn ich denn dann mal einen tisch reserviert hab. Wenn er so ein Meister beim kochen ist, wird er auch wissen, wie er gut kalkuliert, gell.

  3. ich glaube nicht, dass das eine (etwas meisterlich können) grundsätzlich das andere (einen angemessenen preis dafür kalkulieren und verlangen) bedingt, ellja. leider.

  4. Hut ab, das ist doch mal ein klasse Konzept, da würd ich einmal pro Woche hingehen, wobei der Preis schon hart an der Schmerzgrenze ist (fürs Restaurant).
    Leider wohne ich 839 km entfernt…

  5. katha hat Recht, es gibt zu viele „meisterliche“ Profiköche, die nicht kalkulieren und nicht wirtschaften können. Ich sage nur: Jörg Wörther …

  6. Danke, liebe Katha, für die Aufklärung. Am liebsten flöge ich standepete nach Wien, um dem Herrn Neunkirchner zum Einstand und ohne jede Diskussion erst einmal 50 Euro für sein Menü zu zahlen. Und das Trinkgeld für den freundlichen Service würde ich auch großzügig bemessen. Das Konzept ist super, hat der Meister doch ganz sicher nur ein Eimerchen für Abfälle nötig.Ich hoffe sehr für das Freyenstein, daß nach dem ersten „Hype“ genügend Gäste bleiben, um dem Haus und seinen „Bewohnern“ ein vernünftiges Auskommen zu ermöglichen – auch wenn der Maître irgendwann erkennt, die Preise doch etwas anheben zu müssen.

  7. Es heißt natürlich „stante pede“ – als Halblateinerin habe ich jetzt rote Öhrchen. Aber eine Nachbarin feiert heute Hochzeit, und sie hatte mich gebeten, sie in das schöne, aber komplizierte Brautkleid zu stecken. Plötzlich war ich aufgeregter als die Braut…

  8. leider, leider kann´s ohne speisekarte auch anders ausgehen:
    fast zeitgleich mit dem beschriebenen abendessen bei meinrad n. haben wir in einer der schönsten kleinstädte (ober)österreichs folgendes erlebt:

    nur ein 8- oder ein 10-gang-menü zur auswahl,
    (ein blick in die vorhandenen karten nicht möglich)
    beginnend mit litschiartigen kugerln aus ungewürzten erdöpfeln
    über (u.a.) „pick“süss-gewürztes hendlbrüsterl
    bis zu drei stückerl käs (zwei davon zum verwechseln ähnlich – aber mit viel prosa vorgetragen, von wegen reife-dauer in weiss gott welchen kellern!)
    vor dem feinen mini-mini-desserterl (1 1/2!! kirschen und ein teelöfferl weisses schokomousse)

    wir haben dazu je einen alkoholfreien aperitiv, je zwei gläs“chen“ wein
    eine flasche mineralwasser und einen espresso getrunken und zu zweit
    euro 136 gelöhnt.
    und uns hinterher gesagt, dass wir schon lange nicht mehr so teuer so schlecht
    gegessen haben! (meine freundin und ich gehen seit über 30 jahren miteinander
    regelmässig und gerne fein essen)
    ich freu mich schon heut auf das nächste mal essen ohne speisekarte im freyenstein!!!
    und in oberösterreich geh ich nächstesmal wieder zur mostbäurin martina a.
    in aschach und ess nach dem bratlfettnbrot noch die feine kardinalschnitte –
    oder ich fahr gleich nach linz in die nähe vom pötzlingsberg ins v.

  9. bei einem wienbesuch solltest das freyenstein aber (früh genug) einplanen, claus!

    dazu sage ich lieber nix, eline.

    liebe thea, egal ob stante pede oder nicht, wenn sie dann mal herkommen, gehen wir gemeinsam hin. ohne heiratsantrag, ok? ;-) – das mit dem eimerchen bringt’s auf den punkt, und das finde ich nicht nur aus ökonomischen gründen bemerkenswert. um die nachfrage braucht man sich bei neunkirchner keine sorgen machen… bei allen anderen, die gut wären und so ein konzept versuchen würden, aber kaum bekannt sind, würde ich mir auch eher sorgen machen.

    eben, teeodora, das meine ich: der ganze unselige zinnober und nix dahinter, sehr viel heisse luft (aus küche und service) und das ganze auch noch arrogant vor- & aufgetragen. was wäre mir in so einem fall auch die mostschenke (die mit dem dichten, saftigen roggenholzofenbauernbrot?) lieber, obwohl – oder weil! – jede/r weiss, wie gerne ich gut essen gehe!

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